Institut für Achtsames Essen

 

aus: Achtsam abnehmen - 33 Methoden für jeden Tag

systemed Verlag, Januar 2013



Achtsamkeit hat viel mit Loslassen zu tun. Statt sein Leben manipulieren zu wollen, ist es meist sowohl entspannender als auch wirkungsvoller, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Man sollte seine Achtsamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Klarheit entwickeln, aber nicht mit zu viel Willenskraft. Besser man bewahrt Ruhe und bleibt geduldig - Wachstum braucht seine Zeit, und das gilt besonders für inneres Wachstum.


1. Was heißt eigentlich Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist eine Jahrtausendalte Methode, die in der Meditationspraxis buddhistischer Mönche entwickelt wurde. Dennoch ist Achtsamkeit keineswegs eine fernöstliche Angelegenheit, sondern einfach nur die Fähigkeit, ganz präsent zu sein und den gegenwärtigen Augenblick offen und neugierig wahrzunehmen. Wer achtsam ist, ist genau da, wo er gerade ist und tut genau das, was er gerade tut – auch beim Essen. Sofern man das Wort Ernährungsfehler überhaupt verwenden will, so liegt der größte Ernährungsfehler sicher nicht darin, zu viele gesättigte Fettsäuren oder raffinierte Kohlenhydrate zu uns nehmen, sondern darin, dass wir oft wie ferngesteuert essen – beispielsweise, wenn wir beim Fernsehen Erdnüsse essen, ohne uns dessen bewusst zu sein.


2. Abnehmen durch Achtsamkeit – funktioniert das überhaupt?

Vor einigen Jahren wurde eher zufällig entdeckt, dass Achtsamkeit zur Reduktion des Gewichts führen kann. Immer wieder berichteten Teilnehmer von Mindfulness-Based Stress Reduction-Kursen, dass sie während des achtwöchigen Programms deutlich abgenommen hätten, ohne es überhaupt vorgehabt zu haben. Aktuelle US-Studien zeigen, dass spezielle Achtsamkeitstechniken Übergewichtigen und Fettsüchtigen effektiv dabei helfen, ihre Essgewohnheiten in den Griff zu bekommen, und auch am deutschen Institut für Achtsames Essen läuft derzeit eine vielversprechende Studie zur Wirksamkeit von Achtsamkeitsprogrammen bei Übergewicht.


Drei gute Gründe, warum Achtsamkeit beim Abnehmen hilft

  1. Durch Achtsamkeit vermeidet man Multitasking. Man schult seine Fähigkeit, mit allen Sinnen bei einer Sache zu sein – auch beim Essen und entgeht so typischen Fressfallen wie Zerstreuung, die häufig zu Übergewicht führen.


  1. Durch Achtsamkeit lernt man, wieder genau zu spüren, was einem gut tut. Da Kalorien-bomben in nur sehr seltenen Fällen wirklich gut tun, wird man irgendwann ganz automatisch auf sie verzichten.


  1. Achtsamkeit hilft dabei, sein Leben zu entschleunigen. Wenn man lernt, genauer hinzu-sehen und sich mehr Zeit zu nehmen, kann man auch im Alltag das Tempo drosseln und von Fast Food auf Slow Food umschalten. Dadurch isst man dauerhaft weniger.


3. Was sind die wichtigsten Prinzipien der Achtsamkeit?

Es gibt fünf hilfreiche Grundpfeiler der Achtsamkeit.


Gesammelt und geduldig bleiben

Die wichtigste Eigenschaft achtsamkeitsbasierter Übungen ist, dass sie uns wieder in unsere Mitte zurückführen. Man sollte sich auf seine Gefühle und Gedanken beim Essen und auf Aussehen und Geschmack des Essens konzentrieren statt auf Probleme! Ein zu hohes Gewicht, Kalorien oder was andere über unsere Figur denken – all das ist bei der Übung der Achtsamkeit vollkommen belanglos. Wichtig ist einzig die Erfahrung von Augenblick zu Augenblick. Nicht das, was stört, steht im Mittelpunkt, sondern das, was ist.


Nicht bewerten, nicht verurteilen

Ein weiteres wichtiges Prinzip der Achtsamkeit ist das ‚Nichtwerten‘. Wann immer wir etwas, jemanden oder uns selbst verurteilen, engen wir unsere Sicht ein. Wir sollten die Position eines neutralen Beobachters einnehmen. Statt innerlich zu kommentieren - „Das darf ich nicht tun“ -  sollten wir urteilsfrei denken: „Sieh an – das ist ja interessant“. Damit schärfen wir unseren Blick und lernen, gelassener mit den Dingen umzugehen, die uns begegnen.


Offen und neugierig bleiben

Das Prinzip der Offenheit ist besonders wichtig, um auch beim Essen Routine zu durchbrechen und den Autopiloten auszuschalten. Durch Offenheit erwachen unsere Sinne. Wir nehmen wieder unmittelbaren Kontakt zum Leben auf. In Bezug auf unsere Essgewohnheiten kann es dabei zu überraschenden Veränderungen kommen – erst recht, wenn wir bisher in der Auswahl unserer Mahlzeiten gern immer wieder zu den gleichen Speisen gegriffen haben.


Annehmen, was ist

Wenn wir innerlich ständig damit beschäftigt sind, unser Leben anders haben zu wollen, ist es unmöglich, offen und wertfrei zu bleiben. Das Prinzip der Akzeptanz aber schützt uns davor, uns selbst zu verurteilen oder gegen unseren Körper anzukämpfen. Auch, wenn es paradox klingt: Wenn man Dinge verändern möchte, sollte man sich zunächst von dem Wunsch verabschieden, etwas verändern zu wollen. Entwickelt man Achtsamkeit, werden gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen allmählich ganz von selbst von einem abfallen. Mit Gelassenheit, Offenheit und Wachheit gegenüber den eigenen Erfahrungen lassen sich sehr viel leichter Veränderungen bewirken als durch Willenskraft.


Mitgefühl

Gerade in Bezug auf Achtsamkeitsübungen, die sich um das Thema Abnehmen drehen, ist es wichtig, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Im Umgang mit unseren eigenen Mustern oder belastenden Emotionen brauchen wir viel Verständnis für uns selbst. Es gibt gute Gründe dafür, warum wir handeln, wie wir handeln oder essen, wie wir essen. Der innere Kritiker hilft uns hier nicht weiter – im Gegenteil: Leistungsdenken oder zu hohe Erwartungen stehen unserem Erfolg nur im Weg. Man sollte darauf vertrauen, das man am besten weiß, auf welchem Weg man aus der Sackgasse schädlicher Essgewohnheiten herauskommen.


4. Was sind die tieferen Ursachen für Gewichtsprobleme?

Die Sehnsucht nach der Erfüllung seelischer Bedürfnisse kann zu Essstörungen führen. Es ist fast immer der innere Mangel, der zu äußerer Fülle führt. Hinter diesem können sich Traurigkeit, Einsamkeit, Frust oder Überforderung verstecken. Nichtbefriedigtsein führt zu inneren Spannungen und dem Wunsch, die fehlende Zufriedenheit durch Essen wiederherzustellen. Wer nicht bekommt, wonach er sich in seinem tiefsten Inneren sehnt, der wird leicht in die Falle tappen, sich dann wenigstens im Kühlschrank das zu holen, wonach sein Herz begehrt. Durch Achtsamkeitsübungen lassen sich diese Muster relativ schnell erkennen und im zweiten Schritt lernt man, sich zu ernähren, ohne Essen als Ersatz zu missbrauchen. Wenn man seine Mahlzeiten in Ruhe und mit allen Sinnen genießt, bietet achtsames Essen tatsächlich all das, wonach wir uns sehnen – Entspannung, Lebendigkeit, Geborgenheit und Zufriedenheit.


5. Wie hängt Stress mit Übergewicht zusammen?

Kann Stress dick machen? Viele Studien deuten darauf hin, dass es so ist. Natürlich reagiert nicht jeder Mensch gleich. Manche greifen zur Zigarette, andere zu Schokolade, wieder andere reagieren mit Kaufsucht. Hinter den Reaktionen auf Überlastung steht jedoch immer der Wunsch nach Entspannung und mehr Lebensfreude. Dass auch Essen bei Belastungen oft als Fluchtmittel herhalten muss, haben wir ja bereits gesehen. Dabei entsteht ein Teufelskreis: Belastungen und Stress führen dazu, dass wir uns etwas Gutes tun wollen und zur Schokolade greifen. Durch dieses Muster nehmen wir natürlich zu und die Folge ist, dass wir dann noch gestresster sind – nun nicht mehr allein von unserem Job oder unseren Alltagsbelastungen, sondern zusätzlich auch noch von unserem Übergewicht. Deswegen gibt es im Buch Angebote, sich mehr Zeit zu nehmen, intensiver zu genießen und öfter in sich hineinzuspüren.


6. Warum essen wir oft weiter, obwohl wir keinen Hunger mehr haben?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Wir verwechseln Hunger mit Appetit. Wir lassen uns beim Essen von unseren Gefühlen leiten und nutzen Essen als Ersatz für anderen inneren Mangel und wir lassen uns ablenken und essen oft nebenbei, während wir Zeitung lesen oder anderes tun. Wir essen zu schnell, doch leider braucht der Sättigungssignale etwas Zeit, um vom Bauch ins Gehirn und von dort aus in unser Bewusstsein zu dringen. Wir benutzen zu große Teller, essen zu große Portionen und wir essen Nahrungsmittel mit zu hoher Energiedichte. Unser Sättigungsgefühl hängt vor allem davon ab, wie voll und ausgedehnt unser Magen nach dem Essen ist. Wie viele Kalorien wir während einer Mahlzeit aufgenommen haben, ist unserem Magen hingegen ziemlich egal. Das bedeutet: Mit Salaten, Rohkost oder Gemüsegerichten füllt man seinen Magen schneller und mit sehr viel weniger Kalorien also mit Burgern, Torten oder Spaghetti Quattro Formaggi.


7. Was spricht eigentlich gegen Diäten?

Die meisten Diäten beruhen auf einer Reduktion von Kalorien, Fetten oder Kohlenhydraten. Man muss äußere Regeln befolgen und entwickelt keine inneren Veränderungen. Keine Diät funktioniert auf lange Sicht. Diäten machen Essen zum Kampf. Gerade solche, die bereits eine lange ‚Diätkarriere‘ hinter sich haben, kennen diese bittere Erfahrung nur zu gut. Ein weiteres Problem ist, dass Diäten nicht an die Ursachen gehen. Niemand kann emotionale Essmuster durchbrechen, indem er ein paar Wochen lang Salat isst. Wenn sich der Hunger nach Leben als Heißhunger auf Pizza verkleidet, brauchen wir keine Glyx-Tabelle, sondern Zeit, Geduld und Verständnis für uns selbst sowie die Fähigkeit, achtsam hinzusehen, was da genau passiert. Wer achtsames Essen üben möchte, muss alle Vorstellungen über Kalorien, Fette oder Zucker über Bord werfen. Dauerhaft abnehmen schafft man nicht durch Wissen. Nur, wenn wer seinen Körper und sein Herz mit auf die Reise nimmt, wird auf kurz oder lang zu mehr Leichtigkeit in Körper, Seele und Geist gelangen.


8. Welche Essfallen gibt es?

Essfallen haben immer etwas mit Unbewusstheit oder Unachtsamkeit zu tun. Genau genommen ist Unachtsamkeit sogar die einzige wirkliche Essfalle. Deswegen ist es hilfreich, die Fallstricke auf dem Weg zu kennen, denn nur so kann man sich davor schützen. Die häufigsten Essfallen auf einen Blick:


  1. Essen und gleichzeitig lesen oder fernsehen

  2. Kino plus Eis plus Cola oder Bier

  3. Kaffee und Kuchen

  4. Essen beim Autofahren

  5. Fast-Food-Restaurants oder Snackbars

  6. Kalte Büfetts, Geschäftsessen, Partys, Familienfeiern

  7. All-you-can-eat-Restaurants

  8. Schlemmergassen, Konditoreien, Eisdielen und andere Orte, die unseren Appetit (und nicht etwa unseren Hunger) wecken

  9. Gespräche und insbesondere Streitereien beim Essen

  10. Stress, Zeitdruck, Kantinenessen, hastiges Essen

  11. Essen (oder Trinken) im Gehen oder Stehen

  12. Essen als Belohnung oder wegen mangelnder Anerkennung

  13. Essen aus Langeweile, Einsamkeit, Frust oder Kummer

  14. Zu oft zwischendurch essen

  15. Während der Mahlzeiten nicht bei der Sache sein; beim Essen innerlich mit Problemen, Planen, Argumentieren usw. beschäftigt sein


9. Wie trainiert man achtsames Essen?

Ebenso wie wir unsere Muskeln trainieren können, können wir auch unsere Kommunikationsfähigkeit, Konzentration, unser Selbstbewusstsein oder unsere Achtsamkeit durch Training entwickeln. Wenn der Eisbecher mit Sahne lockt, oder wir in einem Augenblick der Langeweile den Kühlschrank öffnen, ist die Gefahr groß, dass wir unbewusst in die Essfalle tappen. Gut entwickelte Achtsamkeitsmuskeln können dann Wunder wirken. Doch wie bekommt man die? Grundsätzlich gibt es zwei Wege, achtsamer zu werden. Entweder durch formale Methoden, wie Sitzmeditation und Yoga oder durch informellen Techniken. Bei letzteren geht es darum, sich mehr Zeit zu nehmen, sich genauer zu erforschen, Verhaltensmuster zu durchbrechen, Essvorgänge zu entschleunigen und seine Konzentration immer wieder auf das Essen und die eigenen Gefühle und Stimmungen zu lenken. Beide Wege sind gleich wirkungsvoll.


10. Hindernisse auf dem Weg der Achtsamkeit

Mit den Übungen in unserem Buch „Achtsam abnehmen: 33 Methoden für jeden Tag“ kann jeder auf Dauer seine Achtsamkeit stärken. Aber man sollte ein paar typische Stolpersteine meiden. Zum Beispiel sich keine unrealistischen Ziele setzen und sich nicht zu verurteilen, selbst wenn man kein Gramm abnimmt. Wer wenig Erfahrung mit der Praxis der Achtsamkeit hat, denkt oft, achtsam zu sein bedeutet, alles furchtbar langsam und betulich zu machen. Doch man muss sich weder in Zeitlupe bewegen noch besonders heilig sein. Dennoch sollte man sich vor Versuchungen in Acht nehmen und Situationen meiden, in denen das Risiko, gewohnheitsmäßig große Mengen an Essen zu verzehren, besonders hoch ist, wie Büfetts oder Fast-Food-Restaurants. Und es ist gut, offen mit dem Thema Achtsamkeit umzugehen und es dem Freundeskreis erzählen, um sich spitze Kommentare zu ersparen. Aber missionieren sollte man niemanden.

10 Fragen – 10 Antworten

DAS TEAM

MBSR Achtsamkeitstrainer, Meditationslehrer, Autor

Dipl. Oecotrophologin, Dozention, PI-Coach

Seminarleiterin

Dipl. Psychologe, Personale Integration Supervisor, Autor



KONTAKT

E-Mail: achtsam.essen@gmail.com

Andere Webseiten:

PersonaleIntegration.de

Julia-Feind.de

long-schweppe.de

seelentherapeut.de




VerÖffentlichungen

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Das Minus-1-Diät Kochbuch

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Der Seelenschlüssel zum Wunschgewicht

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Die EGO-Diät

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Warum Stress dick macht

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Anleitung zum Übergewicht

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